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Farida Amadou

Monheim Papers Die Neugier auf Alles von Annett Scheffel
Farida Amadou

Farida Amadou erinnert sich genau an den Moment, als sie das erste Mal einen Bass in den Händen hielt. Da war sie schon 20 und hatte vorher ein paar Jahre Gitarre gespielt. Aber irgendwas an der Art, wie sich die Saiten anfühlten, wie das Instrument in ihren Händen vibrierte und dann diesen tollen pulsierenden und brummenden Sound von sich gab, ließ sie nicht mehr los.

„Ich erinnere mich, dass ich von dem Klang und dem Gefühl beim Halten des Basses vom ersten Augenblick an zutiefst fasziniert war. Ich frage mich immer, ob es sich für Cellospieler vielleicht genauso anfühlt, das Fühlen der Schwingungen. Es ist eine ganz besondere Art, seinen Körper mit den Handlungen seiner Hände in Einklang zu bringen.“

Jedenfalls war es seit diesem Moment um die belgische Musikerin geschehen. Seit mehr als zehn Jahren ist der elektrische Bass ihr Hauptinstrument. Und sie erfindet ihr Spiel immer wieder neu. Als Autodidaktin entlockt Farida Amadou ihrem Fender-Bass die aufregendsten Sounds, die man sich vorstellen kann. Sie ist eine Forscherin. Ihr Forschungsgebiet: die bekannten und unbekannten Formen, Klangwelten und Kontexte ihres Instruments.
Farida Amadou arbeitet an den Schnittstellen von Blues, Jazz, Hiphop, Ambient-Sounds und Noise. In all diesen Genres ist sie gleichzeitig zu Hause, was sie zu einem der bemerkenswertesten neuen europäischen Stars der freien Improvisationsmusik macht.

Unternommen hat sie ihre Expeditionen in den letzten zwei Jahren natürlich größtenteils von zu Hause aus. Seit 2020 lebt sie in Brüssel. Ein Umzug mit einem seltsamen Timing: nur ein paar Wochen vor dem ersten Lockdown. „Klar, war ich nach Brüssel umgezogen, um neue Leute zu treffen und mehr Konzerte zu spielen. Am Anfang war es ein bisschen schwierig. Aber ehrlich gesagt, wenn ich jetzt zurückblicke, war es wirklich eine tolle Zeit für mich. Ich hatte eine Menge Zeit, um an meinem Soloprojekt zu arbeiten. Das Einzige, was ich wirklich gehasst habe, waren die Live-Streaming-Konzerte.“

Ich bin damit aufgewachsen, meiner Mutter beim Singen zu afrikanischen Musikkassetten zuzuhören.“

Die 32-jährige Musikerin sitzt zu Hause auf einem schwarzen Sofa und lächelt in die Kamera ihres Computers. Es ist eine Woche wie viele in ihren Leben. Nach einem Konzert ist immer vor einem Konzert. Diese Woche zwei, nächste Woche auch und danach tourt sie zehn Tage lang.

Hinter ihr an der Wand hängt ein afrikanisches Holzinstrument. Fragt man sie danach, holt sie es sogleich herunter, um es in den Händen zu halten und ein paar tiefe Akkorde darauf zu spielen. Es ist eine Ngoni – oder Hoddu, wie sie im Dialekt von Faridas Familie genannt wird, gesprochen: Odou –, eine westafrikanische Gitarre mit einem schmalen, bootsförmigen Rumpf und nur drei Saiten. Ein Geschenk ihrer Mutter, erzählt sie. „Sie hat sie aus Afrika mitgebracht, als sie vor 20 Jahren nach Hause gereist ist. Meine Familie stammt aus dem Niger. Mein Vater spielte die „Hoddu“, als er jung war, vor meiner Geburt. Er hat auch in verschiedenen Bands Gitarre gespielt. Und meine Mutter hörte eine Menge westafrikanische Musik, als ich ein Kind war – und heute eigentlich immer noch. Ich wuchs also mit ihrem Gesang zu afrikanischen Musikkassetten auf, die sie damals selbst im Niger aufgenommen hatte. Mit diesen Rhythmen, die sehr typisch für Westafrika sind. Es ist improvisierte Musik, was wirklich interessant ist. Darüber denke ich nie nach, wenn ich Musik mache. Aber ich denke, in gewisser Weise hat das meinen Weg schon vorgezeichnet, als ich noch ein Kind war. Das hat mein musikalisches Denken geprägt.“

Farida Amadou ist in Huy geboren und aufgewachsen, einer kleinen Stadt 40 Kilometer südwestlich von Lüttich. Huy liegt im französischsprachigen Teil Belgiens, was man Faridas Sätzen anhört, wenn sie von ihrer Kindheit erzählt: Die Gs sind weich, die Es gedehnt und Hiphop wird zu „Ip-Op“.
Mit 14 fängt sie an Gitarre zu spielen und zieht nach dem Schulabschluss in eine WG in Lüttich. Dort lässt irgendwann ein Freund seinen Bass liegen. Und so kommt es zu dem eingangs beschriebenen Moment. „Es war Sommer und mir war langweilig. Da habe ich das Instrument einfach in die Hand genommen und es ausprobiert. Und ... da wären wir. Jetzt bin ich Bassistin.“
Bei gebracht hat sie sich das größtenteils selbst. Deswegen ist die Art und Weise, wie sie ihren Bass heute auf der Bühne spielt, so unorthodox wie magisch. „Am Anfang besuchte ich eine Musikschule. Aber nur gerade so lange, dass ich nicht hängen blieb. Damals hatte ich bereits Leute getroffen, die in Lüttich improvisierte Musik spielten, und ich wollte mit mehr Freiheit spielen.“

Farida Amadou
Farida Amadou © Laurent Orseau für Monheim Triennale

Ich war einfach neugierig.“

2013 beginnt Farida sich durch die Musikszene von Lüttich zu spielen. Und einmal quer durch viele verschiedene Genres. Ihre ersten Erfahrungen macht sie bei Jamsessions, auf denen Blues gespielt wurde. Sie improvisiert als Teil des Œil Kollectif und spielt im Duo Nystagmus mit dem Drummer und Perkussionisten Tom Malmendier. Danach übernimmt sie den Bass in der Hip-Hop-Band Le Centième Orkestra und steigt schließlich 2018 bei der belgischen Band Cocaine Piss ein. Mit dem Quartett spielt sie mit lauter Frauen aggressiven Hardcore Punk und nimmt eine Platte beim legendären Rockproduzenten Steve Albini in Chicago aufnimmt: „Passionate and Tragic“

Wie es zu dieser verschlungenem musikalischem Vita und den vielen Richtungswechseln kam? Farida lacht. „Ich war einfach neugierig. Ich habe mir alles angehört. Und ich wollte alles spielen. Als mich also jemand fragte, ob ich in einer Hiphop-Band spielen wollte, sagte ich natürlich ja. So war es auch bei Cocaine Piss. Ich liebte die Energie auf der Bühne, die so intensiv und körperlich war. Es hat Spaß gemacht. Aber ich wollte zur improvisierten Musik wechseln. Mir wurde klar, dass es nicht mein Ding ist, in einer Band zu sein und jeden Abend immer wieder dieselben Songs zu spielen.“

Heute fließen all diese Erfahrungen und Sounds in ihrer Musik ineinander wie in einem großen Klangraum. „Ich habe Hiphop, Jazz, Punk und ein bisschen Blues gespielt. Das alles gab es in den letzten zehn Jahren um mich herum. Und jetzt ist es alles Teil von mir, wenn ich improvisierte Musik mache. Nicht nur als eine Art Toolkit, sondern als eine große Sphäre von Inspirationen, voller möglicher Wege, denen ich folgen kann. Ein großer Vibe gemischt aus allem zusammen.“

Besonders wichtig ist dabei die Improvisation. Farida Amadou sagt sogar: „Improvisierte Musik ist für mich die einzige Möglichkeit, Musik zu machen. Es ist eine so sensible und authentische Art, Musik zu machen. Man ist sich selbst. Man trägt keine Maske. Die Welt der Improvisation ist in dieser Hinsicht viel bescheidener und einfacher. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass es mir so leicht fällt, mit Menschen in Kontakt zu kommen, wenn ich improvisierte Musik spiele. Man probt nicht stundenlang. Man kommt nur mit sich selbst, drückt seine Gefühle in dem Moment aus und versucht, eine Beziehung aufzubauen. Ich liebe diese Unkompliziertheit.“

Seit 2017 hat die Bassistin in ganz Europa wie mit namhaften Künstler*innen der Jazz-, Experimental- und Neuen Improvisationsmusik zusammengearbeitet, darunter Timothée Quost, Julien Desprez, Linda Sharrock, Mette Rasmussen, Balasz Pandi, Eve Risser und Olivier Benoit.

Farida Amadou
Farida Amadou © Laurent Orseau für Monheim Triennale

2018 spielte sie als Duo mit dem britischen Schlagzeuger Steve Noble, einer von Londons am meisten unerschrockenen und innovativsten Improvisationsmusiker:innen. Noble ist für sein superpräzisen, vorantreibenden Stil bekannt, war in den 1980er Mitglied englischen Post-Punk-Band Rip Rig & Panic und spielte später mit dem Gitarristen Derek Bailey. Die beiden trafen sich bei einem Festival in Antwerpen. „Es war vom ersten Treffen an einfach unglaublich. Wir haben Backstage etwas zusammen getrunken und viel geredet. Am nächsten Tag fragte er mich, ob ich nach London kommen wolle, um im Café Oto zu spielen. Und natürlich habe ich ja gesagt. Steve hat einfach so viele Ideen. Man wird nie zwei Konzerte von ihm hören, die gleich klingen. Die gesamte Zeit in London war unglaublich. Wir haben den ganzen Tag gespielt und dann Wodka getrunken und über das Leben geredet. Ich habe es geliebt, seinen Geschichten und Erfahrungen zuzuhören.“

Um die Sache noch intensiver zu machen, luden die beiden andere Musiker dazu ein: Jazz-Klarinettist Alex Ward, Saxophonist Chris Pitsiokis, Multi-Instrumentalist Yoni Silver, den deutschen Free-Jazz-Pionier Peter Brötzmann und den amerikanische Gitarrenvirtuosen (und Gründungsmitglied von Sonic Youth) Thurston Moore. Mit Letzterem spielten sie ein wildes, nervöses Set, während dem sie sich gegenseitig immer weiter in ein psychedelisches Sturmtief treiben. „Ich bin dankbar für diese Zeit. Denn es ist einfach unmöglich, nichts zu lernen, wenn man nur fünf Minuten mit Musikern wie Steve Noble oder Thurston Moore verbringt“, sagt Farida und schickt augenzwinkernd hinterher: „Auch wenn Thurston Moore nicht gerade viel redet.“ Live-Aufnahmen der Trio-Abende im Café Oto sind als LPs bei Dropa Disc und Takuroku erschienen.

Neben den vielen Live-Auftritten und Kollaborationen hat Farida Amadou gleichzeitig unermüdlich weiter an ihrer Technik und ihrem Klangspektrum gearbeitet, hat viele Stunden und Tage mit ihrem Instrument verbracht und ihre Musik zuletzt hin zu elektronischen Sounds geöffnet. Mittlerweile integriert sie Sequenzer und Synthesizer in ihre Live-Shows. 2020 veröffentliche sie ihre Musik zudem auf zwei Solo-Alben: „Reading Eyes And Facial Expressions“ und das gerade vom Mikrolabel Autogenesis auf Kassette neu aufgelegte „00:29:10:02“. Und sie interessiert sich verstärkt für audiovisuelle Arbeiten. Gerade hat sie in Brüssel ihre erste Soundinstallation ausgestellt. Bei „In-Between“ wirken die Besucherinnen und Besucher am Klangbild mit, in dem sie zwischen Stahlplatten gespannte Klaviersaiten berühren. Dazu gibt es Fotografien von Faridas Zugreisen durch Europa.

Ich weiß nie genau, was ich spielen werde.“

Für die Monheim-Triennale 2022 hat sie sich eine ganz besondere Zusammenarbeit ausgedacht – das gilt künstlerisch genauso wie persönlich. Farida Amadou improvisiert gemeinsam mit der US-amerikanischen Musikerin, Spoken-Work-Poetin und Aktivistin Camae Ayewa, besser bekannt unter dem Namen Moor Mother. Zwischen der Arbeit der beiden gibt es viele Parallelen: der Genre-transzendierende Ansatz, die schwindelerregende Vielseitigkeit, die Einflüsse aus Jazz, Punk, Hiphop und Noise, die Unruhe und Intensivität der Musik und die schonungslose Radikalität, die sich bei Amadou im Sound und bei Ayewa vordergründig in den Texten ausdrückt: Ihre explizit politischen Werke verstehen sich als lauter und aktiver Widerstand gegen soziale Machtstrukturen die Marginalisierung der Black Community.

Spannend ist dieses Projekt für Farida Amadou vor allem deshalb, weil sie, wie sie sagt, erschöpft ist von den männlich dominierten Umgebungen der Musikszene und in Zukunft erstens mit mehr Frauen spielen will – und zweitens mit mehr Schwarzen Frauen.

„Ich habe das Gefühl, dass ich mich wieder mit meinen Wurzeln verbinden und mit mehr Menschen zusammen sein muss, die so sind wie ich: starke schwarze Frauen. In der kleinen Stadt, in der ich aufgewachsen bin, war mein einziges und bestes Vorbild meine Mutter. Es gab keine Alternativen. Nur Leute, die einen seltsam ansahen und abfällige Dinge sagten. Ich weiß nicht, was Camae in Monheim textlich machen wird. Aber ich habe das Gefühl, dass ich dieses kollektive Trauma, um das es in vielen ihrer Werke geht, jeden Tag erlebe. Ich denke also, dass es bereits in meiner Musik enthalten ist. Ich kann es nicht wirklich mit Worten ausdrücken. Aber sie kann es. Gemeinsam können wir stärker sein.“

Wie das am Ende auf der Bühne klingen wird, das weiß Farida Amadou noch nicht. „Ich habe ein paar Ideen. Ich möchte Synthesizer und Hip-Hop-Beats mit Geräuschmusik, Drone und Rhythmen aus Westafrika mischen. Aber ich weiß nie genau, was ich spielen werde.“

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