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Hibo Elmi

Monheim Papers Das Bild, das sie von sich selber gemacht hat von Florian Sievers

Zwischen Koran und Clubkultur: Die somalisch-äthiopische Künstlerin Hibo Elmi aus Kampala/Uganda erforscht Fragen von Identität, Herkunft und gesellschaftlicher Freiheit. Zur Monheim Triennale 2022 kommt sie zusammen mit der Band Nihiloxia.

Hibo Elmi glaubt an ihre Wurzeln. Die sind stark und fest, sagt sie. Wäre sie ein Baum, dann gediehe sie mit diesen Wurzeln im schwül-grünen Dickicht rings um die ugandische Hauptstadt Kampala ebenso wie auf der kühl verregneten Hochebene von Addis Abeba in Äthiopien oder in der wüstendürren somalischen Küstenmetropole Mogadischu. Unterschiedliche Klimazonen, sie aber wird immer nur größer und stärker. Und streckt ihre Zweige frei in jede Richtung, die sie interessiert. Mit starken Wurzeln kann man das.

Hibo Elmi ist eine multidisziplinäre Künstlerin, die in Europa bislang vor allem als DJ unter ihrem Künstlernamen Hibotep in Erscheinung getreten ist. Aber Elmi ist auch Filmemacherin, Modedesignerin, Installationskünstlerin, Rapperin und Musikproduzentin. Sie wurde 1992 als Tochter somalischer Flüchtlinge in der äthiopischen Hauptstadt Adis Abeba geboren. Und die großen, alten Kulturtraditionen Somalias und Äthiopiens, wo Menschen seit Jahrtausenden hochkomplexe Musik und ebenso komplexe Gedichte schreiben, bringt sie mit Digitalkultur sowie der hochenergetischen und avantgardistischen Elektronikmusik- und Partyszene von Kampala zusammen, wo sie heute lebt. Als Muslima, die gläubig und freisinnig zugleich ist. So wandelt die Kulturnomadin zwischen der westlichen Kultur, der ugandischen Kultur, dem Islam, der Clubkultur und der somalischen Kultur. „Alles zusammen!“, sagt Elmi mit Nachdruck, da gebe es für sie keine Widersprüche.

Doch aus genau den Brüchen und Reibungen zwischen diesen unterschiedlichen Kulturen ihres Lebenslaufs bezieht sie ihre kreative Energie. Und ihre Themen: Was Herkunft ist. Wie Identität entsteht. Woraus sie sich zusammensetzt. Wie sie sich wandelt. Und wie man damit frei werden kann. Und so beleuchtet denn auch ihr Beitrag zur Monheim Triennale 2022, für den sie mit Nihiloxia kollaboriert, unter dem Titel "Ruhan" (was auf Somali "Geister" bedeutet) solche Fragen der Identitätspolitik.

Vermeintlich gegensätzlich, sicher aber unterschiedlich

Dabei folgt Elmi keinen Images, die andere von ihr und für sie machen. Sie folgt nur dem Bild, das sie von sich selber gemacht hat. Schon ihre Mutter hat ihr beigebracht, wie sie vermeintlich gegensätzliche, sicher aber unterschiedliche Kulturen zusammen denken kann. „Ich komme aus einer sehr strikten und konservativen Kultur“, erzählt Elmi, „aber meine Mutter war extrem frei und hat mich dazu erzogen, meine Identität losgelöst von Tribalismus und Extremismus selber zu formen.“

Nachdem ihre Eltern vor dem seit 1991 andauernden Bürgerkrieg aus Somalia in die Hauptstadt des Nachbarlands Äthiopien, Addis Abeba, geflüchtet waren, war alles, was sie aus der alten Heimat noch besaßen, eine Kiste voll Musikkassetten mit somalischen Volkslied-Hits. Diese Tapes prägten die Kindheit von Hibo Elmi und ihrer Zwillingsschwester Hoden, wenn die Mutter sie allein in der Küche oder zusammen mit Freunden anhörte. „Musik ist die Stimme meiner Mutter“, sagt Elmi.

Bald spielte sie zu Hause selber Freund:innen und Familienmitgliedern Musik vor, als Wohnzimmer-DJ. Aber erst als Elmi 2012 ihre Zwillingsschwester im ugandischen Kampala besuchte, die dort Umweltwissenschaft studierte, wurde sie wirklich zur DJ.

Schon in Addis war sie eine Außenseiterin gewesen, hing mit anderen Migrant:innen ab, die ebenfalls nicht in die streng christlich-orthodoxe und ziemlich konservative Kultur der äthiopischen Hauptstadt passten. Dazu kamen Rassismus und Vorurteile gegen die geflüchteten Somalis, die als Muslime auch noch religiös stigmatisiert sind.

In Kampala allerdings, leuchtend grün und tropisch schwül-warm, fühlte sich Elmi zum ersten Mal von vielen Menschen akzeptiert. „Dieser Ort, wo mich fast jeder ‚Schwester’ nennt, hat mich wirklich willkommen geheißen“, erzählt sie. Sie blieb hängen in der 1,5-Millionen-Stadt und fing an, gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester unter den DJ-Namen Hibotep beziehungsweise Houdini in Untergrund-Bars und bei Lagerhaus-Partys Musik zu machen. Zur Homebase der Schwestern wurde der Club ONE54, wo sie zusammen mit Freundinnen wie Catu Diosis, der queerfeministischen Kampire Bahana und der legendären DJ-Veteranin DJ Rachael neben Filmabenden, experimentellen Noise-Konzerten oder Reggae-Partys eine eigene Veranstaltungsreihe mit ausschließlich weiblichen DJs bestreiten.

Ein Ort für Freaks und Weirdos

Hier lernten die Schwestern auch die Betreiber des Festivals und gleichnamigen Plattenlabels Nyege Nyege kennen und wurden Teil von deren Clique. Die Plattform Nyege Nyege ist verantwortlich für eine Welle neuer elektronischer Musik aus ganz Ostafrika, die neben Kampala unter anderem auch aus dem kenianischen Nairobi oder dem tansanischen Daressalam stammt. In Kampala sind Nyege-Nyege-Partys auch ein sicherer Ort für die LGBTQI+-Community der Stadt und für andere Menschen, die nicht herkömmlichen Gender-Stereotypen entsprechen. Und ebenso für alle anderen Menschen, die nicht in die vorherrschenden Normen passen, die Freaks und Weirdos der Stadt. „Wir wollen dasselbe: einen Ort bieten für alle Außenseiter in Kampala“, sagt Elmi.

Aber selbst in diesem Kontext fällt Hibo Elmi auf interessante Weise auf, wenn sie auf einer Bühne steht. Ihr Gesicht, konturiert durch leuchtenden Lippenstift und einen Nasenring, ist dann umrahmt von einem Kopftuch. Kein echter muslimischer Hijab, eher eine Art Turban. „Früher habe ich klassische Kopftücher getragen“, erzählt sie, „aber ich wollte aus Respekt vor dem Islam nicht mehr so in Clubs rumlaufen und mir den Hintern wegtanzen – und dabei auch noch als Repräsentantin einer ganzen Religion gelten.“ Der Turban sei neutraler und erfülle trotzdem seinen Zweck. „Ich habe keine Angst, mich zu zeigen, wie ich bin, ich bedecke immer noch mein Haar, ich glaube immer noch an den Islam, aber auf meine Weise.“

Elmi nennt es eine „fehlinterpretierte Version des Koran“, dass das Leben immer sehr streng und ernst sein müsse: „Meine Mutter war eine gläubige Muslima – und sie hat geschafft, die Religion als etwas Schönes und Bereicherndes zu zeigen und nicht als etwas Hässliches und Bedrohliches. Das ist eine persönliche Angelegenheit zwischen Gott und jedem Menschen, hat sie immer gesagt.“ Diese Haltung hat Elmi in die fiktive Figur der „Ninjabi“ gegossen. Das Kofferwort steht für eine Frau, die einen Hijab trägt, sich dabei aber zugleich gefährlich und frei bewegt wie ein cooler maskierter Ninja. Ohne Angst vor der Meinung anderer. Sondern rauchend und fluchend, wie es ihr passt. Elmi grinst, wenn sie von der Idee erzählt.

Ein virtuelles Utopia für Monheim

Ebenso multidimensional, komplex und sich einfachen Zuschreibungen entziehend wie die Künstlerin selbst ist auch der geplante Beitrag von Hibo Elmi zur Monheim Triennale 2022, für den sie mit Nihiloxia zusammen arbeiten wird. Gemeinsam möchten sie ein virtuelles Utopia namens "Ruhan" erschaffen, einen seltsamen Ort, wo Menschen sehen können, was sie fühlen und wahrnehmen, die Bilder in ihren Kopf, ihre Ideen.

Zudem wird Hibo Elmi alias DJ Hibotep in einem DJ-Set zusammen mit ihrer Schwester Hoden alias DJ Houdini wortlose Kommunikation zwischen Zwillingen praktizieren, wie sie sagt. Die beiden werden als DJs frei improvisieren und eigentlich konträre Musikstile gegen und ineinander setzen. Bei ihren Auftritten verbindet DJ Hibotep gern mal zum Beispiel die alten somalischen Volks-Schlager ihrer Kindheit mit den rohen Drumcomputer-Beats der düsteren Rap-Spielart Trap. Auch sonst liebt Elmi es, beim Auflegen Musikgenres zu rekontextualisieren, indem sie ansatzlos beispielsweise Techno, tansanisch-muslimischen Taarab, britischen Grime-HipHop und die südafrikanische Elektronikmusik Gqom hintereinander weg spielt. Sie fordert sich und ihr Publikum mit solchen rüden Mixturen heraus. „Außerdem“, sagt sie, „geht es mir mit meinen Musikgenres, wie es Menschen mit ihren Kindern geht: Ich liebe sie alle, auch wenn sie sehr unterschiedlich sind.“

Wie Wasser durch Ritzen

Elmi ist offen, flexibel, beweglich, sie bewegt und wird bewegt, flottiert zwischen Genres, Disziplinen, Kulturen, Gesellschaften. „Somalis sind schon immer Nomaden gewesen, sind frei von hier nach dort gegangen“, sagt sie. Sie habe kein Land, das sie wirklich „Zuhause“ nennen könne. Darum bewege sie sich wie Wasser durch Ritzen – unaufhaltsam, aber auch nicht festzuhalten.

Diese Ungebundenheit bringe auch Freiheit mit sich, sagt Elmi: „Wenn du woanders hinkommst, dann bist du dort oft erst mal ein Außenseiter. Das heißt aber auch, dass du dort noch mal von vorn anfangen und dich neu erfinden kannst. Und wenn du dann noch andere wie dich triffst, dann kann daraus eine starke Bewegung entstehen, die sich gegenseitig unterstützt.“ So schaffen Migrant:innen rund um die Welt neue kulturelle Trends.

Ihre Arbeit jedenfalls will Elmi in dieser Hinsicht durchaus auch politisch verstanden wissen. Weil darin steckt, wie Menschen heute zwischen Kulturen ihre Identität formen und umformen. Wie Frauen in Gesellschaften des globalen Südens für ihre Rechte kämpfen. Und wie sie selbst ihre Kultur und ihre Religion interpretiert. „Also alles, wofür ich kämpfe, während ich heute lebe.“

Florian Sievers

Künstlerseite Hibo Elmi