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Park Jiha

Monheim Papers Nach und nach von Kristoffer Patrick Cornils

Park Jiha lernte als Teenagerin, traditionelle koreanische Musik zu spielen und begann dann sukzessive, das Gelernte zu verlernen. Denn anstatt die Formen vergangener Tage zu wiederholen, wollte sie in ihrer Musik die Vergangenheit in der Gegenwart zum Ausdruck bringen – und zwar ihre ganz eigene.

Die Musik von Park Jiha ist unvergleichbar und das ist wortwörtlich zu verstehen: Es gibt keinen musikalischen Referenzrahmen für das, was die Südkoreanerin auf ihren bisher drei Solo-Veröffentlichungen macht. Nachdem ihr Debüt A Record of Autobiographical Sounds zuerst nur in Kleinstauflage erschien, behalfen sich im westlichen Raum die Rezensionen zu ihrem im Jahr 2016 erstveröffentlichten und wenig später vom Glitterbeat-Ableger tak:til neu aufgelegten Album Communion und dem Nachfolger Philos mit Verweisen auf traditionelle koreanische Musik hier und Jazz dort. So ganz richtig ist das allerdings nicht. Oder zumindest nur in sehr eingeschränkter Form. 

Denn zwar spielt Park das Oboeninstrument Piri, die Mundorgel Saenghwang sowie das Hackbrett Yanggeum und somit drei Instrumente, die in der koreanischen Nationalmusik, der Gugak, eine zentrale Rolle spielen; auch mischen sich hin und wieder Blasinstrumente wie das Saxofon hinzu. Doch macht der Ton allein nicht immer die Musik: Parks Musik ist freiförmig und in sich heterogen, treibt mal sanft und sacht dahin und schwillt im nächsten Moment zu intensiven Momenten an. Das erinnert weniger an traditionelle Formsprachen oder Jazz denn vielmehr an Minimal Music oder die Auf-und-Ab-Dynamiken von Post-Rock, kann aber weder auf das Eine noch das Andere reduziert werden. So wie es auch nur bedingt Sinn ergibt, ihre zwischen verschiedenen Epochen und Kulturkreisen navigierender Musik vor der Folie von Jon Hassell und anderen Fourth-Welt-Vertreter*innen zu betrachten, die mit unterschiedlichen Mitteln und anderen Resultaten Ähnliches versucht hatten. Denn mehr noch als die Idee einer vierten sind Parks Stücke Ausdruck ihrer ganz eigenen. Es ist eine Welt, die von einer ganz eigenen Zeitlichkeit beherrscht wird.

Nicht das machen, was alle anderen tun

Park wird Mitte der achtziger Jahre in Seoul geboren und wächst also in ein neues Zeitalter der Geschichte des Landes hinein. Nach Jahren der Militärdiktatur wird Südkorea im Jahr 1987 demokratisiert und schon im Folgejahr Ausrichtungsland der Olympischen Spiele. Umfassende politische Reformen gehen mit einem rapiden wirtschaftlichen Aufschwung einher. In kurzer Zeit entwickelt sich das Land zu einer hochtechnologisierten Industrienation, dessen wirtschaftliche Zugkraft immer weiter ansteigt. Nicht nur resultiert dieser Zugewinn an soft power in einem immer größeren Kulturexport – K-Pop etwa bildet sich als Phänomen in den neunziger Jahren heraus – und andererseits in eine neue Weltoffenheit. In Parks Familie kommt dies über Ultrakurzwelle an. „Als ich ein Kind war, ließ meine Mutter den ganzen Tag das Radio laufen“, erinnert sie sich. „Jeden Tag spielten sie im Radio zwei Stunden World Music, Gugak oder klassische westliche Musik.“

Der Funken springt über. Park nimmt Klavierstunden, doch die sind auf lange Frist zu teuer. Sie bettelt ihre Mutter an, es stattdessen mit der Flöte versuchen zu dürfen, und will das in der Schule intensivieren. Doch an den Schulen, an denen westliche klassische Musik unterrichtet wird, ist die Konkurrenz groß: viele Bewerber*innen, wenig Plätze. Vom Schulgeld ganz zu schweigen. Ihre Eltern raten ihr, es an öffentlichen Schulen zu versuchen, bei denen koreanische Musik auf dem Curriculum steht. So landet Park am National Gugak Center in Seoul und lernt dort traditionelle Hof- und Volksmusik. 

In ihrer Ausbildung legt sie einen Fokus auf die Piri. Es ist ein ungewöhnliches Instrument für eine junge Teenagerin. „Ich wollte nicht einfach das machen, was alle anderen auch taten und es gab nicht viele Schüler*innen, die Piri spielen lernen wollten. Vor allem für junge Menschen ist sie wahnsinnig schwer zu spielen.“ Bei ihren Altersgenossinnen ist das Instrument aber noch aus einem anderen Grund unbeliebt. „Wenn man die Piri spielt, sieht man nicht gerade hübsch aus, weshalb viele Mädchen sie lieber nicht spielen,“, lacht Park. Sie geht nicht nur in dieser Hinsicht ihren eigenen Weg, sondern muss bald schon feststellen, dass der herbeigesehnte Unterricht für sie schlussendlich zu einengend wird.

Park langweilt es, Jahrhunderte alte Musik nach den immer selben Regeln und Richtlinien zu interpretieren, die sich seit ihren Anfangstagen kaum verändert haben. Auf dem Lehrplan steht zwar ein Kompositionskurs, der Park größere Freiheiten verspricht, das allerdings nicht einhält. Bald aber ist ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen, denn die Schülerin ist nicht die einzige, denen die Regeltreue des Betriebs zuwider ist. So wie sich Südkorea im Gesamten modernisiert, tut es auch das Kulturleben. „Einer meiner Professoren, Won Il, gehörte zu den ersten, die eine experimentelle Herangehensweise an traditionelle Musik vorschlug, und er lud mich ein, als Gast mit seinem Team aufzutreten. Dabei wurde mir klar, dass ich mit meinen Instrumenten tatsächlich alles tun und lassen kann, was ich nur will und dass verschiedene Ansätze im Umgang mit traditioneller Musik möglich sind.“

Ein Bruch mit den Traditionen

Im Jahr 2007 gründet Park gemeinsam mit der Gayageum-Künstlerin Seo Jungmin das Duo 숨[suːm]. Das, was heute so viele westliche Ohren in ihren Solo-Arbeiten zu hören meinen, dient den beiden noch als Ausgangspunkt für eine Form von Musik, die einen Brückenschlag zum Zeitgeist darstellen soll. „Als wir 숨[suːm] gründeten, war ich immer noch stark von traditioneller koreanischer Musik beeinflusst. Wir haben viel improvisiert, aber alles wurzelte noch in den traditionellen Formen“, erinnert sich Park. Doch ist der Duktus ein anderer. „Die Musik, die uns in der Schule beigebracht worden war, stand in keinerlei Verbindung zu unserem Lebensalltag. Fortschritt gab es nicht, nur Regeln, an die man sich zu halten hatte.“

Nach internationalen Tourneen und der Veröffentlichung von zwei Alben mit 숨[suːm] macht sich Park selbstständig. Sie, die niemals nennenswerten Kompositionsunterricht genommen hat, lässt das Prinzip Komposition überhaupt hinter sich. „Es gibt keine vordefinierten Strukturen, ich gebe mich einfach hin“, sagt sie über den Entstehungsprozess ihrer Stücke. „In meinen Solo-Projekten habe ich die Gelegenheit, Gefühle und Gedanken in Musik zu übersetzen, ohne mir dabei über die kompositorischen Aspekte Gedanken zu machen“. Wenn ihr Ideen kommen, dann nimmt sie diese rasch auf und mit in die Welt hinaus: „Ich höre mir das in unterschiedlichen Situationen an – zu Hause, in der Bahn, bei einem Spaziergang – und dank der unterschiedlichen Umgebungen und der verschiedenen emotionalen Verfassung kommen mir neue Ideen. So komponiere ich, nach und nach.“

Dieser Bruch mit traditionellen Formen, den sie mit tradierten Instrumenten vollzieht, gefällt schon zu Zeiten von 숨[suːm]  jedoch nicht allen. „Damals waren die Lehrer und andere Leute aus der Szene für traditionelle Musik ziemlich kritisch. Für sie ging es darum, die Instrumente zu lernen, einem Orchester beizutreten und schließlich selbst Musiklehrer zu werden – also darum, alles zu wiederholen, wie es immer schon gemacht wurde.“ Heute allerdings, fügt sie hinzu, läge der Fall anders. Zunehmende staatliche Unterstützung für neue Zugangsweisen zur Formensprache und dem Instrumentarium der Gugak hatte in den vergangenen Jahren zur Folge, dass eine ganze Reihe von Bands und Projekten aus dem Boden sprießen, mit denen Parks Musik auch immer wieder gerne verglichen wird. Da ist etwa die international bekannte Avant-Rockband Jambinai, das Gayageum-Trio Hey String oder das Ensemble Black String – Gruppen, die zum Teil dieselben Instrumente verwenden wie Park. „Natürlich haben wir denselben Hintergrund“, räumt Park ein. „Wir werden oft miteinander verglichen, und das stört mich nicht, aber die Musik ist extrem anders.“ Von einer Szene kann nicht die Rede sein, auch wenn die schiere Menge dieser unterschiedlichen Acts für breite Akzeptanz dort sorgt, wo Park zuvor Ablehnung für ihren ikonoklastischen Ansatz entgegenschlug.

Aufgehäufte Zeit

Spricht Park über ihre Musik und was deren genuin modernen Charakter ausmacht, dann spricht sie vor allem über zwei Dinge: Gefühle und Zeit. Mit A Record of Autobiographical Sounds veröffentlicht sie im Jahr 2014 ihr Debüt als Solo-Künstlerin, es ist der Soundtrack zu einem noch größeren Projekt – einer multimedialen Ausstellung, zu dessen Exponaten neben 133 von ihr durchgespielten Seos, den Mundstücken ihrer Piri, auch Videos gehören. So rekapituliert Park ihre Vergangenheit als Piri-Spielerin und schlägt zugleich ein neues Kapital auf. „Ich ging durch all die Videos, die ich während meiner Auslandsaufenthalte aufgenommen hatte und stieß auf eine Aufnahme, die ich auf einem Boot gemacht habe. Es zeigte nur das fließende Wasser“, erinnert sie sich an den Ausgangspunkt ihrer ersten Solo-Arbeit nach der Auflösung von 숨[suːm]. „Ich wollte Musik kreieren, die dieses Gefühl wiedergab.“

Die Erinnerung an und die Konservierung von Gefühlen und damit auch von vergangenen Zeiten und aktuellen Gemütszuständen prägt auch das Album Communion, das sie im Jahr 2016 im Selbstverlag veröffentlicht. „Am besten lässt sich das mit einem der Track-Titel erklären: ‚Accumulation of Time‘. Meine Stücke sind immer eine Anhäufung von dem, was ich über die Zeit hinweg gesammelt habe und meinen Alben sind ein Abbild meiner Verfassung im Verlauf der Zeit.“ Diesen Ansatz wiederholt sie auf ihrem zweiten regulären Album Philos aus dem Jahr 2018 ebenso, wie sie ihn ausdifferenziert. Der altgriechische Titel kommt nicht von ungefähr. „Wenn man „phílos“ (Liebe) und „sophía“ (Weisheit) kombiniert, ergibt das „Philosophie“. Die Philosophie der Musik besteht aus der ständigen Wiederholung derselben Klänge und der Konzentration auf Klangfarben und verschiedene Schichten“, erklärt Park. Hingabe und Wissen vereinen sich, der Klang beginnt zu denken und zu leben – nach und nach.

Philos wird anders als Communion weitgehend allein eingespielt, ein Gastauftritt der libanesischen Lyrikerin Dima El Sayed bildet die einzige Ausnahme. Ansonsten gilt, was in den Credits angegeben wird: „Park Jiha spielt Piri, Saenghwang und Yanggeum sowie Sound-Schichten, die aus Zeit und Raum gewonnen wurden.“ Bei diesen Schichten handelt es sich um Zeitschnappschüsse im Audio-Format – Field Recordings. „Wenn etwas für mich interessant klingt, nehme ich es auf, egal ob es ein Vogel ist oder die Leute auf der Straße. Und wenn ich ein halbes Jahr nichts Spannendes höre, dann nehme ich auch sechs Monate lang nichts auf“, lacht Park. „Viel häufiger noch als diese Feldaufnahmen, nutze ich die Möglichkeit, Aufnahmen von mir zu machen, wenn ich in tollen Räumlichkeiten probe, um meine Ideen und das Gefühl aufzuzeichnen – als Möglichkeit, mich daran zu erinnern.“

So ist auch Temporary Inertia zu verstehen, ein Auftragswerk, das Park in und für eine vom japanischen Architekten Andō Tadao entworfene Meditationshalle im Museum SAN in Wonju geschrieben hat. „Was an diesem Raum wirklich beeindruckend ist, dass die Sonne durch eine Öffnung im Dach hineinscheint, wodurch man das Licht im Lauf des Tages wandern sieht“, erklärt sie. „Deshalb ist das Stück in drei Abschnitte eingeteilt, die sich entlang des Zeitverlaufs, den verschiedenen Lichtsituationen und den Instrumenten bewegen.“ Begleitet wird das von einer Performerin und basiert vor allem auf Improvisation, doch verwendet Park keine Verstärkung – sondern versucht, ihrem Publikum möglichst unvermittelt die Gelegenheit zu bieten, den Klang ihrer Instrumente in Raum und Zeit zu erfahren.

Solche Konzerte wie auch die auf ihren Alben als Musik akkumulierte Zeit sind immer auch als Einladungen zu verstehen, als Eintrittskarten in Parks Welt. Derzeit verfolgt sie weitere Projekte mit anderen Künstler*innen aus Korea, die zeitgenössische Musik mit traditionellen Elementen vereinen, aber auch Video- und Lichtkunst miteinbeziehen. Zudem veröffentlicht Park in Kürze ein gemeinsames Projekt mit Roy Claire Potter auf Otoroku, dem In-House-Label des Londoner Veranstaltungszentrums Café Oto.

Entstanden ist es auf Einladung von BBC 3 und wurde erstmals in der Sendung Late Junction ausgestrahlt. „Ich habe keine Ahnung, was Roy Claire eigentlich sagt! Wir hatten uns noch nie zuvor getroffen und die Leute von BBC sagten uns, wir sollten vorher miteinander kommunizieren und etwas für die Show vorbereiten. Wir haben ein paar Mails hin und her geschickt, entschieden uns dann aber, einander einfach zu treffen und es auszuprobieren“, erinnert sich Park. „Wir konnten uns kaum miteinander verständigen, aber es fühlt sich an, als hätten wir schon Monate zusammen gearbeitet. Roy Claire performt Poesie und spricht vor allem. Die Stimme war für mich wie ein weiteres Instrument, mit dem ich spielen konnte.“

Auch wenn Park Jiha neben diesen verschiedenen kollaborativen Projekten aktuell per Schritt-für-Schritt-Prinzip alleine am Nachfolger zu Philos arbeitet, handelt es sich bei ihrer musikalischen Welt keineswegs um eine Monade. Sondern vielmehr ein Archipel, in dem sich über Raum und Zeit hinweg verschiedene kulturellen Traditionen und private Erinnerungen, musikalische Formen und klangliche Eigenarten miteinander verknüpfen. Kein abgeschlossenes System, sondern eine ständige Bewegung.

Kristoffer Patrick Cornils

Künstlerseite Park Jiha